Mundus Subterraneus

MUNDUS SUBTERRANEUS - Die Unterwelt als Tiefenraum.


DOCK II - Das Video von Mic Enneper

"Der Raum, aber Ihr könnt nicht begreifen, dieses fürchterliche Drinnen-und-Draußen, das der wahre Raum ist. Manche bäumen sich ein letztes Mal auf, machen eine verzweifelte Anstrengung, um nur in ihrer eigenen Einheit zu sein. Übel bekommt es ihnen. Ich habe so einen getroffen. Von der Strafe zerstört, war er nur noch ein Lärm, aber ein gewaltiger. Eine unermessliche Welt hörte ihn noch, aber er war nicht mehr, er war einzig und allein nur ein Lärm geworden, der vielleicht noch jahrhundertelang hinrollen würde, aber dazu bestimmt war, vollständig zu verlöschen, so als wäre er nie gewesen."

Henri Michaux

1. Der Ort

Das Dock ist ein Nicht-Ort. Die mit Rohren und Düsen, Brettern und Schleusen angefüllte Kammer ist keine Wohnstatt. Sie dient der Mechanik nutzbarer großer Maschinen mit gewaltsamen Kräften; sie erinnert an Schmutz, Kälte und Feuchtigkeit.

Als ein Nicht-Ort ist das Dock dem Schacht verwandt, der rohen Höhle, dem kargen Keller - Räumen, die von Menschen gebaut, doch nicht bewohnt werden. Die  untergründigen Zimmer sind die dunklen Wesen eines Hauses oder einer Stadt, die eine Halbwelt der Schatten, eine Unterwelt der Verborgenheit und Gefahr suggerieren. Das Eindringen in den Untergrund entbirgt die Irrationalität der Tiefe, die einsame Unheimlichkeit nicht abgeschlossener Gefüge, die ins Endlose hinunter zu gleiten scheinen. Das Unheimliche ist das Reich gewusster Befürchtungen und der unbewussten Ängste. Sie lassen sich nicht zivilisieren. Das Unbewusste "nimmt den Leuchter, um in den Keller hinabzusteigen." Dort "bewegen sich langsamere Wesen, die nicht so rasch laufen und geheimnisvoller sind". (1) Der in der Finsternis irrlichternde Schein der Lampe verführt den Träumer mit Spielen der Illusion und des Wahns. "Im Keller verharren die Dunkelheiten Tag und Nacht. (...) Der passionierte Bewohner (gräbt sich) in ihn ein, gräbt ihn immer wieder nach, schachtet ihn aus, macht seine Tiefe aktiv. Das Faktum genügt nicht, die Träumerei arbeitet. Wenn sie sich in die Tiefe der Erde eingraben, gibt es für die Träume keine Grenze." (2) Die unterirdischen Mächte werden aktiv in den abgeschlossenen Kammern aus Lehm zwischen Mauern, die von metallischen Schnüren verziert sind wie von Ornamenten eiskalter Qual. "Der Kellerträumer weiß, dass die Mauern des Kellers in der Erde stecken, und die ganze Erde hinter einer einzigen Scheidewand. Und das Drama wird dadurch gesteigert und die Angst übertrieben. Aber was ist eine Angst, die aufhört, zu übertreiben?" So beschreitet der Gast das Unterirdische auf der Ebene des Wahns; der Schacht, der Keller ist " vergrabener Wahnsinn, vermauertes Drama. Die Berichte von Verbrecherkellern hinterlassen im Gedächtnis unauslöschliche Spuren, die man nicht gerne vertieft. (...) Das Haus, der Keller, die tiefe Erde erreichen eine Totalität in der Tiefe. (...) So schreiten die Träume fort, in ihrer Größe ohne Grenze." (3)


2. Das Video

Mic Enneper hat das Video DOCK II konzipiert für einen abgedunkelten Raum, in dem ein Videostrahler die Lichtspuren des Videos überlebensgroß an der Wand projiziert. Der Betrachter betritt einen geschlossenen Raum, deren eine Wand wiederum den Blick in ein Rauminneres zeigt. Das Video wird zum Raum und der reale Raum verschwindet hinter dem virtuellen Ort.

Das gezeigte Innere gleicht einer ausgeschachteten Wanne, betonverschalt, die von einer niedrigen Betonmauer in zwei Hälften geteilt wurde; es bleibt uneinsichtig, ob der Raum geschlossen ist oder offen, ob er ringsum mit Mauern umgeben ist oder sich in einen tiefen Schacht hinein öffnet, ob er sich unterirdisch befindet oder oberhalb der Erde. Er gleicht einem Maschinenraum. Es handelt sich um einen realen Ort, der im gewählten Ausschnitt vermittels der Videotechnik aufgenommen wurde. Der gewählte Fokus ist auf zwei offene Rohre gerichtet, deren reale Größe imaginär bleibt. In ihrer Ähnlichkeit wirken sie wie ein Paar, Zwillingsrohre. Jeweils durch eine offene Metallkonstruktion hochgebockt liegen sie wie wartende Kolosse und richten ihre offenen dunklen Schlünde dem Betrachter entgegen; verschiedene Metallschnüre und Verstrebungen verbinden sie zusätzlich mit dem Betonfundament. Die Gegenstände sind von einem fahlen Licht beleuchtet, das sie dauerhaft in einer beigegrünen Einheitsfarbe erscheinen lässt; eine beständige Lichtquelle scheint sich oberhalb des Blickausschnittes zu befinden.

Es herrscht Menschenleere, vollkommene Abwesenheit in Bild und Ton.

 

Die Einstellung des Videos entspricht der eines Standbildes, da während der gesamten Spielzeit von vierundvierzig Minuten keine Veränderung der Gegenstände beobachtet werden kann. Nichts bewegt sich, keine Entwicklung zeichnet sich ab, es beginnt keine Handlung. Die einzigen Sensationen, welche die Monotonie des Geschauten durchbrechen, sind kurz aufscheinende Lichtreflexe, die in unregelmäßigen Abständen und mit unterschiedlicher Helligkeit über die Geräte und Betonplatten huschen; immer aus der gleichen Richtung herkommend werden sie begleitet von ebenso flüchtigen Schattenmustern. Bisweilen leuchten die Lichter blitzartig auf und verleihen den metallischen Röhren einen hellblauen Schimmer, doch meist fahren sie langsam wie der Schein einer Taschenlampe über die Örtlichkeit hinweg. Es sind Lichtspiele heller und dunkler Zuckungen, welche die Szenerie gewitterartig beleuchten.

Das Bild wird von einem anhaltenden Rauschen aus nicht bestimmbarer Ferne begleitet. Das Geräusch hebt manchmal an zu einem verstärkten Brummen, um wieder abzuschwellen; wieder wird des lauter, ein lärmendes Tosen durchbricht die Ruhe des Bildes, das sich nach anhaltendem Dröhnen wieder in das entfernte Rauschen zurückzieht. Die Geräusche, von Maschinen oder Motoren herrührend, wechseln in verschiedenen Tonebenen, dröhnen mal dunkler, mal heller, lauter oder leiser, anhaltend oder kurz. Dies Lärmen rührt nicht von dem Raum und seinen Gegenständen her, die das Videobild präsentiert, seine Quelle scheint außerhalb des Blickfeldes zu liegen.

Die Lichterscheinungen, die das Bild kurzzeitig erleuchten, wirken von diesen Geräuschen unabhängig; die Lichter blitzen auf ohne jede Geräuschveränderung; jedes anschwellende Rauschen bleibt ohne optischen Gegenwert. Geräusche und Licht wechseln einander nicht ab in der Art von Blitz und Donner. Hat ein Geräuschpegel sein Maximum erreicht, bleibt ein erwartetes visuelles Ereignis aus: nichts geschieht. Auditiver Lärm und visuelle Ereignislosigkeit stehen in diametralem Gegensatz zueinander.

 

Der Betrachter schaut in den offenen Schlund der Rohre, die wie zwei  schussbereite Kanonen auf ihr Feuersignal zu warten scheinen. Sie gemahnen an die Posaunen, die mit ihrem warnenden gewaltigen Schall die Stadtmauern Jerichos zum Einsturz brachten: "Das Volk schrie, und man ließ die Posaunen erschallen. Als das Volk den Posaunenschall hörte, stieß es einen gewaltigen Kriegsschrei aus, und die Mauer stürzte in sich zusammen." (4) Doch hier rührt das mahnende Dröhnen nicht von den Rohren her, deren offenen Enden dies anzudeuten scheinen; alles geräuschvolle Drohen hat seine Ursache außerhalb der Szenerie, die im Video gezeigt wird. Eine Gefahr scheint sich hinter dem Rücken des Betrachters aufzubauen, deren Quelle er nicht gewahr werden kann. Der Besucher möchte sich der Geräuschquelle zuwenden, doch ist dies unmöglich. Das Gefühl, an einem anderen ihm nicht einsichtigen Ort geschieht etwas, dessen Geräusche er hören, deren Gefahr er jedoch nicht kennen und dessen Ursache er nicht sehen kann, verschafft ihm das Gefühl der Ohnmacht. Der Betrachter kann den Raum, der ihm im Video dargeboten wird, nicht verlassen, er vermag den Kopf nicht wenden zu der Geräuschquelle hin. Der fixierte Blick wird wie eine Bindung, eine Fesselung erlebt, die nichts anderes zulässt, als eine bewegungslose Szene zu betrachten, über die Lichter und Schatten gleiten, kommentiert von Maschinengeräuschen, deren Herkunft nicht zu orten ist. Doch nichts geschieht.

 

Unweigerlich entsteht eine Assoziation, die den Betrachter als Teil der Gesamtinszenierung erscheinen lässt nach Art der platonischen Höhle. Hier sitzen Gefangene von ihrer Geburt an gefesselt vor einer Wand, auf der sie Schattenbewegungen wahrnehmen und Geräusche vernehmen, die von einer anderen Quelle herrühren. Platon vergleicht die Situation der Gefangenen mit der aller Menschen: "Nächstdem, sprach ich, vergleiche dir unsere Natur in Bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang längs der ganzen Höhle hat. In dieser seien sie von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln, so dass sie auf demselben Fleck bleiben und auch nur nach vorne hin sehen, den Kopf aber herumzudrehen der Fessel wegen nicht vermögend sind. Licht aber haben sie von einem Feuer, welches von oben und von ferne her hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen geht obenher ein Weg, längs diesem sieh eine Mauer aufgeführt wie die Schranken, welche die Gaukler vor den Zuschauern sich erbauen, über welche herüber sie ihre Kunststücke zeigen. - Ich sehe, sagte er. - Sieh nun längs jener Mauer Menschen allerlei Geräte tragen, die über die Mauer herüberragen, und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder und von allerlei Arbeit: einige, wie natürlich, reden dabei, andere schweigen. - Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar und wunderliche Gefangene. - Uns ganz ähnliche, erwiderte ich. Denn zuerst, meinst du wohl, dass dergleichen Menschen von sich selbst und voneinander je etwas anderes gesehen haben als die Schatten, welche das Feuer auf die ihnen gegenüberstehende Wand der Höhle wirft?" (5)

In Platons Gleichnis wird ein Gefangener gewaltsam befreit und genötigt, die Höhle zu verlassen, um das Licht der Wahrheit zu entdecken. In Mic Ennepers Video DOCK II wird der Schauende nicht befreit; er könnte den Videoraum und damit die gesamte Szenerie verlassen, jedoch kann er nicht innerhalb des Kunstwerkes, dessen Teil er ist, "den Kopf wenden". Der Betrachter bleibt dem Augenblick des Jetzt wie einer ausgedehnten Ewigkeit verhaftet. Der Bewegung, welche die abschwellenden Geräusche suggeriert, steht die Bewegungslosigkeit des Visuellen gegenüber; die Laute selbst werden als "Bewegung" empfunden. Die Monotonie des Geschauten ist in eine "Eintonmusik" gebettet; eine Empfindung des Mangels wird erzeugt.

Die ungerührte Starre der Rohre und die Bewegungslosigkeit der geschauten Szene verschaffen dem Betrachter ein wachsendes Gefühl des Unwohlseins. Zudem steigert das anschwellende Lärmen wiederholt seine Sensationslust, die jedoch stets ohne Nahrung bleibt. Dies unerfüllte Begehren nach einem wahrnehmbaren Geschehen hinterlässt den Schauenden in einer Leere, die er als Frustration, vermischt mit Ärger und  Aggression erleidet.

 

DOCK II zeigt eine Situation in Echtzeit, doch scheint diese Echtzeit stillzustehen; nur das Flackern der Lichter gibt dem Betrachter zu erkennen, dass er sich nicht vor einem toten Videostandbild befindet. Das Video erzählt keine Geschichte, es hat weder Anfang noch Ende; Lichter und Rauschen steigern sich, werden weniger, erstarken wieder in endloser Folge ohne einen erkennbaren Sinn oder Nutzen. Das Vorher ist dem Nachher gleich, die Ereignislosigkeit erschreckt wie die ablaufende Zeit des Lebens, die ungerührt von unscheinbaren Tagesereignissen verrinnt. Die Unerträglichkeit seines eigenen Lebensverlaufes, das dem eines bewegungslosen Daseins gleicht, während man die Weltgeräusche des Lebens ständig vernimmt,  scheint das Video einzufangen. Hier liegt seine subtile Botschaft.

DOCK II erzählt keine narrative Geschichte, es vermittelt keinen begreifbaren Sinn; die Abwesenheit alles Menschlichen bestimmt seine dunkle doch kühle Atmosphäre des Technischen, das als Synonym für die Aussichtslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Unausweichlichkeit des menschlichen Dramas steht, welches das Ringen seiner zeitlichen Existenz mit dem unweigerlichen Tod bedeutet.


3. Das Dock

Als Dock wird eine räumliche Vorrichtung bezeichnet für die Notwendigkeit der Schiffsreparatur; das Schwimmdock wird vom Trockendock unterschieden. Als Hafenbecken mit der Bewehrung eines Tores erlaubt das Trockendock das Leerpumpen des Beckens, um das eingefahrene Schiff trocken zu legen. Nach Bemessung der exakten Lage des Schiffes und seiner Fixierung werden die Docktore geschlossen. Durch das Absaugen des Wassers sackt das Schiff auf den Dockboden; über Gewindestangen werden Hilfsmittel hochgeschraubt, die das Schiff stabilisieren, die Werkzeuge passen sich dem Schiffsboden an. Das restliche Wasser entweicht, die Arbeit am Schiff beginnt.

 

Das gezeigte Interieur des Videos erinnert eher an die Anlage eines Schachtes denn an eine Schiffswerft; die beiden Rohre, der bunkerartige Betonraum, die Konstruktionen aus Stangen, Leitungen und Gerüsten, bilden das Interieur einer funktionellen "Architektur", in der Maschinen menschliche Wesen ersetzen und von ihrer Abwesenheit berichten. Maschinelle Geräusche dringen herein und verklingen wie das Schluchzen einer Schlucht.

Der Terminus DOCK assoziiert Begriffe wie Bewegung, Arbeit und Masse, die angesichts des Gezeigten leer bleiben. Die Erwartung, auf eine kraftvolle Mechanik zu treffen, die ein Heraufheben und Herabpumpen, ein Hinfahren und Herschieben, ein Hochstemmen und Herunterdrücken mittels großer Kräfte demonstriert, wird nicht erfüllt. Selbstbewusst widerspricht das Video seinem eigenen Titel, indem es unerträglichen Stillstand visualisiert anstelle des erwarteten Kräftespiels. Die vorgeführten Aggregate können keine Energie produzieren; die erwarteten Kräfte scheinen an die Motorengeräusche gekoppelt zu sein, deren Erzeuger der Betrachter nicht wahrnehmen kann. Die ihm vorgeführten Geräte verharren in schweigender Starre, während die lauten Schwingungen der Luft zugleich auf höchste Mobilität verweisen: neben, über, hinter dem Betrachter beginnt eine Zone aktiver Bewegung, deren reales Gefahrenpotential nicht auszumachen ist. 

 

Die Stimmung des Videos ist vergleichbar mit den Arbeiten Mic Ennepers im dreidimensionalen Raum; auch seine begehbaren Architekturen vermittelten eine Atmosphäre der Bedrohung, der lähmenden Ausweglosigkeit angesichts monoton verrinnender Zeit. Doch verschaffte die Möglichkeit, ein solches Raumobjekt zu begehen, zu umwandern, dem Besucher Erleichterung; durch den Perspektivewechsel, den seine eigenen Körperbewegung erlaubte, boten sich ihm zumindest verschiedene Ansichten des Immergleichen. Demgegenüber  vermittelt das Video ein zentralistisches Bild, das nur eine einzige Perspektive vorgibt; in seiner Seinsform hat es damit Ähnlichkeit mit einem Photo, einer Malerei, der man sich nur gänzlich abwenden kann und sich außerhalb des Imaginären stellt. Das Unausweichliche scheint darum im Videobild ungleich gewaltsamer trotz seines immateriellen Charakters; dem Betrachter eröffnet sich keine Möglichkeit, sich dem Gezeigten zu entziehen und seine innere Qual durch das Einsetzen eigener Distanzmöglichkeit  zu lindern.

 

4. Das Drinnen und Draußen

"Der Kellertraum vermehrt unweigerlich die Wirklichkeit: Wenn das Haus des Träumers in der Stadt liegt, handelt es sich im Traum nicht selten darum, durch die Tiefe die umliegenden Keller zu beherrschen. Er wünscht sich die unterirdischen Räume von Sagenburgen, wo geheimnisvolle Wege unter der ganzen Ringmauer, unter jedem Wall, jedem Graben hindurch, das Zentrum des Schlosses mit dem fernen Wald verbanden. Das Schloss, auf die Spitze eines Hügels gepflanzt, hatte ein reichgebündeltes Wurzelwerk von unterirdischen Räumen und Gängen. Welch eine Macht für ein einfaches Haus, über einem Netz von unterirdischen Räumen erbaut zu sein!" (6)

In der Weise, das Innere des Raumes unterirdisch zu denken, knüpft Mic Enneper an seine frühe Werktrilogie DIE SCHATTEN, DIE NACHT, DAS PROJEKT aus den Jahren 1984-1986 an. In den verborgenen Gängen eines Kölner Forts aus dem neunzehnten Jahrhundert errichtete der Künstler eine mysteriöse dunkle Welt, die das absolute Drinnen mit der völligen Finsternis und Stille verband. Nur eine Taschenlampe bot dem einsam eindringenden Besucher etwas Licht, um jene in den Nischen und auf Säulen platzierten Gegenstände wahrzunehmen, silbern schimmernde Metallkegel auf Wegen aus Kohlenstaub. (7) Der Künstler reicherte den unterirdischen Raum mit mystischen und mythischen Deutungen an, die von den  geheimnisvollen Dingen ausgingen; die umgebende Dunkelheit versprach die Geborgenheit des totalen Inne-Seins als eines innerräumlichen Seins, eine Art Todesversprechen. Das vollkommene Innen ist grenzenlos, der innere Ort, die Höhle, der Keller entfaltet einen Dialog von Innen und Außen als eine existentielle Unterscheidung von Sein und Nichtsein. "Das Diesseits und das Jenseits wiederholen dumpf die Dialektik des Drinnen und des Draußen; alles lässt sich zeichnen, sogar das Unendliche. Man will das Sein fixieren, und indem man es fixiert, will man alle Situationen versetzen. Man konfrontiert dann das Sein des Menschen mit dem Sein der Welt und meint damit an eine ursprüngliche Gegebenheit zu rühren. Man erhebt die Dialektik des Hier und des Dort in den Rang des Absoluten. Man verleiht diesen (...) Adverbien der Ortsbestimmung schlecht kontrollierbare ontologische Bedeutungen." (8)

 

Dem gegenüber erscheint der unterweltliche Schacht, den das DOCK II präsentiert, als von jeglicher Mystik frei; es enthüllt dem Betrachter die ganze Kälte einer von Menschenträumen entkernten Vision des mechanischen Zeitalters, in welchem technische Geräte die Abwesenheit allen fleischlichen Ringens postulieren. "Denn das Sein (...) ist ein schuldiges Sein, schuldig weil es ist. Und wir sind in der Hölle, eingemauert wie wir sind  in der Welt der bösen Absichten. Durch welche naive Eingebung lokalisieren wir das Übel, das keine Grenzen hat, in der Hölle? Diese Seele, diesen Schatten, diesen Lärm eines Schattens, der (...) seine Einheit will, hört man von außen, ohne die Gewissheit zu haben, dass er irgendwo drinnen ist. In diesem 'fürchterlichen Drinnen-und-Draußen' der nichtartikulierten Worte, der unvollendeten Daseinsabsichten, verarbeitet das Wesen in seinem Innern langsam sein nichts. Seine Nichtswerdung wird 'jahrhundertelang' dauern. Das Getöse der Daseinsgerüchte erstreckt sich im Raum und in der Zeit. (...) Das Draußen und das Drinnen sind zwei Innerlichkeiten; sie sind immer bereit, umzukippen, ihre Feindlichkeit auszutauschen. Wenn es eine Grenzfläche zwischen einem solchen drinnen und einem solchen draußen gibt, so ist diese Grenzfläche auf beiden Seiten schmerzhaft. (...) Der innere Raum verliert seine Klarheit. Der äußere Raum verliert seine Leere, dieser Stoff der Daseinsmöglichkeit -: wir sind aus dem Reich der Möglichkeit verbannt. (...) Wo soll man wohnen in diesem Drama der inneren Geometrie? Der Rat des Philosophen, in sich selbst zurückzukehren, um seine Existenzform zu finden, verliert seinen Wert, ja sogar seinen Sinn, wenn das geschmeidige Bild des Da-Seins dem ontologischen Albtraum (...) entsprechend erlebt wird. Dieser Albtraum entwickelt sich nicht etwa in dramatischen Handlungen des Schreckens. Die Angst kommt nicht von außen. Sie ist auch nicht aus alten Erinnerungen gemacht. Sie hat keine Vergangenheit. Noch weniger hat sie eine Physiologie. Nichts Gemeinsames mit der 'Es-verschlägt-mir-den-Atem'-Philosophie. Die Angst ist hier das Sein selbst. Wohin dann aber fliehen, wo Zuflucht suchen? In welches draußen könnte man fliehen? In welchem Asyl könnte man sich bergen? Der Raum ist nur ein einziges 'fürchterliches Drinnen-und-Draußen". (9)

 

(1) Bachelard, 45

(2) Bachelard, 44

(3) Bachelard, 45, 48

(4) Die Bibel, Buch Josua, 6.20

(5) Platon, Politeia, 7. Buch, 514a-515b

(6) Bachelard, 46

(7) Die erwähnten Arbeiten sind dokumentiert in: Mic Enneper, Progetto d'arte Nr. 5 und 6,  Köln 1984 und 1986

(8) Bachelard, 212

(9) Bachelard, 216f 

 

Literatur:

Gaston Bachelard, La poétique de l'espace, Paris 1957, dt.: Die Poetik des Raumes, Frankfurt am Main 2003.

Henri Michaux, Der Raum der Schatten, in: Nouvelles de l'étranger, 1952, zitiert nach Bachelard, a.a.O., S. 215.

Buch Josua, 6.20, in: Die Bibel. Die heilige Schrift des alten und neuen Bundes, Freiburg 1971, S. 224.

Platon, Politeia, 7. Buch, 514a-515b, zitiert nach Fehr, Krümmel, Müller (Hg.), Platons Höhle. Das Museum und die elektronischen Medien, Köln 1995, S. 7.

Erstveröffentlichung in:

Mic Enneper, TRANSFORMATOR I-III / DOCK II. Katalog, Kunstverein Ulm / Kunstmuseum Mühlheim an der Ruhr / Kunstraum Fuhrwerkswaage Köln, Köln 2005.

Copyright © Claudia Schink.